Auge in Auge mit Kobra, Otter und Co.

aus den Westfälischen Nachrichten vom 24.12.16

Gronau –

Das Fauchen der Kobra ist eine eindeutige Botschaft: Die Giftschlange ist sauer, baut sich vor dem Gegner auf, stößt immer wieder blitzartig zu. Schon das Betrachten des Videos flößt Respekt ein. Den hatte auch Mirco Lammers, der dem Reptil bei der Aufnahme Auge in Auge gegenüberstand.

Von Klaus Wiedau

Das Fauchen der Kobra ist eine eindeutige Botschaft: Die Giftschlange ist sauer, baut sich vor dem Gegner auf, stößt immer wieder blitzartig zu. Schon das Betrachten des Videos flößt Respekt ein. Den hatte auch Mirco Lammers , der dem Reptil bei der Aufnahme Auge in Auge gegenüberstand. „Da war beim ersten Mal viel Respekt und auch Angst im Spiel“, räumt er ein. Inzwischen ist sein Umgang mit Schlangen, Riesenspinnen und Leguanen entspannter und beherzter geworden. Aber immer konzentriert. Wann er wieder mit exotischen Reptilien auf Tuchfühlung gehen muss, weiß er nicht. Aber der Tag für den Einsatz wird kommen: Mirco Lammers, Oberbrandmeister und Leiter des Feuerwehr-Löschzuges Gronau, ist kreisweit der einzige Reptilienbeauftragte der Feuerwehr .

Bei der Berufsfeuerwehr in Düsseldorf hatte er 2006 im Einsatz erstmals mit einer Schlange zu tun. „Ein rund sieben Meter langer Python“, erinnert sich Lammers. Er begleitete damals den Kollegen und anerkannten Schlangenspezialisten Michael Harzbecker , in den Medien auch „Schlangenfänger von Düsseldorf“ genannt. Harzbecker leitet den Reptiliendienst der Düsseldorfer Wehr, der einzigen bundesweit.

Foto: Sammlung Mirco Lammers

Dieser Einsatz löste bei Lammers den Wunsch aus, mehr über Reptilien und den Umgang mit ihnen zu erfahren. „Interessant fand ich die Tiere immer schon“, sagt er. Harzbecker trainierte ihn im um Umgang mit ungiftigen Schlangen. Aber auch die sind nicht ohne, weiß Lammers: „Die haben mehrere Zahnreihen und können schon richtig was – unter anderem sich festbeißen.“ Hinzu komme die Gefahr der Umklammerung: „Bis zu 800 Kilo Druckkraft kann so ein Tier ausüben.“ Wozu sie noch imstande sind, vermittelt eine weiterer Vergleich: Schlangen können Beute bis zum Fünffachen ihrer Kopfgröße verschlingen.

Vor wenigen Wochen erst absolvierte Lammers eine weitere Ausbildung für seinen Exoten-Job: Eine Woche lang lernte er in Theorie und Praxis auf Europas größter Schlangenfarm in Schladen im Harz den Umgang mit giftigen Reptilien: Über 1000 Schlangen werden dort gehalten, davon sind rund 800 giftig. Lammers hantierte mit Monokelkobras, Puff­ottern, Mambas, Bambus­ottern und Texas-Klapperschlangen, mit Vogelspinnen und Leguanen.

„Ich habe viel über die richtige Handhabung der Tiere gelernt“, macht er deutlich. Etwa, dass eine auf Haken gehaltene Schlange in ihrem Bewegungsradius begrenzt ist, weil der Bodenkontakt fehlt. Oder dass das Halten einer bis zu sieben Kilo schweren Klapperschlange auf Haken ganz schön in die Arme geht und das sogenannte Telen (eine Hand am Schwanz der Schlange bei gleichzeitiger Kopfführung des Tieres mit Haken) kräfteschonender ist. Doch es ging nicht nur um die Praxis. „Auch viel Theorie stand auch auf dem Programm“, so Lammers. Vom Washingtoner Artenschutz-Abkommen, das die Tötung von Tieren verbietet, über Artenbestimmung und Verhaltensrichtlinien im Einsatz reichte die Themenpalette. Gerade die Artenbestimmung ist ein weites Feld. Allein die in Deutschland (und auch bei uns im Venn) vorkommende Kreuzotter gibt es in 15 verschiedenen Farben. Ähnlich ist es bei vielen weiteren Schlangenarten.

Anderen würde das Lachen vergehen: Mirco Lammers hantiert mit einer giftigen Bambusotter. Foto: Sammlung Mirco Lammers

Wenn Lammers zum Einsatz gerufen wird, rückt er ohne dicken Schutzanzug, nur mit einer Tasche voller Haken, Transportkiste, dünnem Overall, Mundschutz und Brille an. Kann er eine Schlange nicht sofort einer Art zuordnen, „gehe ich erst einmal von einer Giftschlange aus, runterfahren kann ich die Gefahreneinstufung immer noch“, so Lammers. Ist ein Tier mithilfe von Haken und Fixierstange gefangen, wird es in der Kiste abtransportiert und warm gelagert, „etwa in einem Heizungsraum“. Dann beginnt die Bestimmung, die Lammers selbst vornimmt oder mithilfe von Experten. „Identifizierte Tiere werden je nach Art in Auffangstationen (etwa im Artenschutzzentrum Metelen) oder die Zoos in Münster, Duisburg oder Düsseldorf gebracht, die Giftschlangen halten.“ Dort kommen die Tiere in Quarantäne, später in den Bestand oder werden abgegeben – etwa an die Schlangenfarm in Schladen.

Was ihn vor Ort erwartet, weiß Lammers nicht. Das kann die vergleichsweise harmlose Kreuzotter sein, aber eben auch eine Klapperschlange. „Die kann heute jeder auf dem Schwarzmarkt für wenige Euro kaufen – und gesetzliche Auflagen für die Haltung von Reptilien gibt es in NRW bisher nicht.“ Nach landesweit sechs Vorfällen mit giftigen Schlangen in zwei Jahren ist ein entsprechender Gesetzesentwurf zwar auf dem Weg, aber bisher nicht verabschiedet. Das macht die Arbeit der Feuerwehr auch bei Brandeinsätzen gefährlich: „Wir wissen nie, was uns in einer Wohnung erwartet.“ Bundesweit hat sich die Zahl der Feuerwehreinsätze im Zusammenhang mit exotischen Tieren in den letzten Jahren verdreifacht. In Gronau hatte die Feuerwehr 2016 zwei Schlangen-Einsätze: In einem Fall entdeckten Passanten ein Reptil auf der Vereinsstraße. Lammers identifizierte es als ungiftige Königsnatter und sorgte für den Transport nach Duisburg.

Dabei sind die Risiken der Haltung von exotischen Reptilien nicht zu verachten: Schlangengift etwa kann je nach Art auf Blutzellen und Gewebe, Muskeln oder Gefäße wirken, auf das Nervensystem, die Blutgerinnung oder die Atmung. Die Speikobra bespuckt ihre Opfer aus der Entfernung mit einer ätzenden Flüssigkeit „und trifft meistens ein Auge“, hat Lammers gelernt. Die Klapperschlange beißt nur zu, wenn sie vermutet, dass sie ihr Opfer auch erwischt. Auch Spinnenbisse bergen tödliche Gefahren, dazu gibt es Arten, „die werfen dir ihre Haare entge­gen“, so Lammers: „Diese kleinen Haare dringen über die Atmung bis in die Lunge vor oder treffen die Augen.“

Übrigens: Ein Immunserum, ein sogenanntes Antivenin, führt Lammers beim Einsatz nicht mit. Zum einen gibt es davon, je nach Reptilienart, eine Vielzahl. Zum anderen sind die Mittel teuer und teilweise nur ein Jahr lang wirksam. „Eine Ampulle kann schon mal bis an die 1000 Euro kosten“, so Lammers. Wenn man bedenkt, dass nach einem Schlangenbiss pro Patient bis zu 20 oder mehr Ampullen erforderlich sind, macht das die Kosten deutlich. Große Kliniken oder spezielle Einrichtungen (Tropeninstitut in Hamburg oder Giftinformationszentrale München) verfügen über Datenbanken, aus denen zu entnehmen ist, welches Serum wogegen wirkt und wo verfügbar ist. Der Transport des Antivenins erfolgt über die Rettungskräfte.

Das Tier im Auge behalten und die Feuerwehr rufen

Vor Ort sollten Menschen bei der Begegnung mit Reptilien vor allem eines tun: Ruhe bewahren und keine Fangversuche unternehmen. Das Tier, seine Zeichnung und Farbe (für eine spätere Bestimmung) beobachten, vor allem aber den Aufenthaltsort im Auge behalten und die Feuerwehr rufen. Wird jemand gebissen, sollte auf keinen Fall die Wunde ausgesaugt werden, das Abbinden von Extremitäten kann erfolgen.

Gibt es Tiere, denen er im Einsatz auf keinen Fall begegnen möchte? Die Antwort kommt ohne zu zögern: „Schwarze und grüne Mambas. Die sehen so aus, als würden sie dich anlächeln, ihr Gift ist aber lebensgefährlich.“ Und auch auf ein „Rendezvous“ mit einer Monokelkobra kann Lammers verzichten: „Die faucht unheimlich laut, ist sehr flink und will immer beißen.“

Privat kommt dem Reptilienbeauftragten übrigens kein exotisches Tier ins Haus. Ehefrau Birthe und die vier Kinder Anna-Marie, Nino, Romy und Luca haben ihn eingenordet: „Kommst du mit so ’nem Tier nach Haus, sind wir weg . . .!“