Kommentar von Martin Borck aus den Westfälischen Nachrichten vom 18.06.2016
Gronau. –
Wo Rauch ist, ist (meistens) Feuer. Diese Binsenweisheit erwies sich auch am Dienstagabend wieder mal als wahr. Eine dicke Qualmwolke stand über Gronau. Sie wirkte wie ein Wegweiser für Schaulustige, die sich zu Hunderten auf den Weg machten um zu gucken, was denn da wohl brennt. Schließlich war gerade Feierabend, und bei der Fußball-EM lief aktuell nix Spannendes.
Von Martin Borck
Neugierde ist eine natürliche Eigenschaft des Menschen. Auch ich möchte – unabhängig von meinem beruflichen Interesse – wissen, was in der Stadt los ist. Doch einige der Schaulustigen, die in die Morgensternsiedlung einfielen, ließen dabei alle Vernunft fahren.
Auf der Vereinsstraße standen Autos Stoßstange an Stoßstange. Etliche Fahrer bogen mit ihren Fahrzeugen in die Westbogenstraße ein, um noch näher an den Brandherd zu gelangen. Es ging zu wie vorm Drive-in-Schalter beim Schnellimbiss zur Hauptstoßzeit. Nur dass keine Pommes lockten, sondern Bilder von brennenden Autos.
Kommt diesen Menschen eigentlich nicht der Gedanke, dass sie möglicherweise Rettungsfahrzeugen den Weg versperren? Zumal an den engen Straßenrändern der Siedlung sowieso schon Fahrzeuge der Anlieger parken. Die Drehleiter-Besatzung hatte Mühe, die Brandstelle zu erreichen. Ein Auto stand – von seinem Fahrer verlassen – mitten auf dem Weg. Die Polizei musste den Bereich um die Brandstelle absperren und räumen. Einige der Gaffer standen so nah an den Flammen und – schon hustend – im Qualm, dass die Feuerwehr um ihre Sicherheit fürchtete. Was für ein Widersinn: Die Rettungskräfte bringen Menschen aus der Gefahrenzone – gleichzeitig rennen Gaffer in die Zone hinein. Warum? Um ihre Coolness zu beweisen?
Schlimmer noch: Von einem der Feuerwehrfahrzeuge wurden die Außenspiegel abgebrochen. Weil der Wagen jemandem im Wege war? Geht‘s noch?
Die Feuerwehr kritisiert auch, dass viele Verkehrsteilnehmer offenbar keine Ahnung mehr haben, wie man sich verhält, wenn sich Einsatzfahrzeuge mit Martinshorn und Blaulicht nähern. Wie eine Rettungsgasse gebildet wird, gehört nicht mehr zum Allgemeinwissen.
Dass durch die entstehenden Verzögerungen unter Umständen wichtige Minuten vergehen, in denen die ach so fröhlich flackernden Flammen Werte vernichten – wenn nicht gar Leben: Geht das eigentlich nicht in die Köpfe der Gaffer?
Klar: Auch ich war vor Ort, habe Fotos gemacht. Wie so häufig bei Feuerwehreinsätzen. Das gehört zu meinem Job. Aber bei dessen Ausübung achte ich immer darauf, dass weder mein Fahrzeug (diesmal mein Fahrrad) noch ich selbst den Feuerwehrleuten und ihren Fahrzeugen im Wege stehe. Ich halte mich auch nicht länger als nötig am Brandort auf.
Nochmals: Neugierde ist an sich okay, auch ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man Fotos oder Videos macht. Aber man muss doch die Verhältnismäßigkeit wahren. Wenn ich merke, dass ich fehl am Platze bin, störe oder behindere, dann trete ich den Rückzug an. Oder gelten die grundlegenden Regeln des Anstands und der Vernunft nicht mehr?
Auch bei Unfällen mit Verletzten und Toten wird immer häufiger jegliche Distanz missachtet, jegliches Recht auf Privat- oder gar Intimsphäre mit den Füßen getreten. Es wird geglotzt, wie kürzlich auf der B 54 geschehen. Gerade in Fällen, wo Menschen möglicherweise um ihr Leben kämpfen, ist das in meinen Augen ein widerliches Verhalten. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde, ein Auswuchs des Egoismus und der Befriedigung der Sensationslust, der fassungslos macht.
Zum Glück gibt es auch viele Menschen, die sich vernünftig und verantwortungsbewusst verhalten, sich einsetzen. Es gibt Menschen, die Empathie zeigen und ihren Mitmenschen in der Not beistehen. Von denen wünsche ich mir mehr – und dafür weniger Gaffer.
Foto: Heinrich Schwarze-Blanke